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Was heißt hier Medienkompetenz?

Am 18.04. fand an meiner Heimatuniversität, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der „Tag der Medienkompetenz“ statt. Zielgruppe laut Flyer: Eltern, Großeltern und Lehrer. Da die Veranstaltung von der Abteilung für Personalentwicklung durchgeführt wurde, gehe ich davon aus, dass primär Beschäftigte am KIT gemeint sind. Soweit so gut, ich bin also Teil der Zielgruppe.

Warum ich das hier schreibe:

Ein paar Rahmendaten über mich und meine Situation, aus der heraus ich diesen Beitrag hier verfasse muss ich euch noch mitteilen:

Ich bin 30, hatte schon als kleines Kind Mitte der 1990er Zugriff auf (mehrere) Atari-Computer, später PCs mit Internetanschluss via 56k-Modem und würde mich heute als das bezeichnen, was man gemeinhin „Digital Native“ nennt – auch wenn die Wissenschaft noch darüber streitet, ob es uns wirklich gibt. Beruflich befasse ich mich am KIT mit digitaler Bildung in der Hochschule und konzipiere, produziere und promoviere über digitale Lernmedien.

Dazu bin ich Vater zweier Kinder, von denen das ältere (knapp 5 Jahre alt) bereits seit über einem Jahr ein eigenes Smartphone besitzt und damit – gemessen am eigenen sozialen Umfeld – sehr gekonnt umgeht: Es wird gezeichnet, (Video-)telefoniert; es werden Nachrichten geschrieben (und diktiert), Emojis gesendet, fotografiert, gefilmt, Musik gehört, Filme und Serien angesehen und natürlich hin und wieder auch gespielt. Ich behaupte, dass sowohl die inhaltliche Qualität als auch der zeitliche Umfang dieser (meist betreuten) Mediennutzung mehr als adäquat sind.

Auf der Veranstaltung wurden zwei Vorträge präsentiert, auf die ich hier kurz eingehen möchte. Ich schreibe diesen Beitrag noch am selben Tag, damit mein Eindruck nicht verloren geht, denn ich war während der Vorträge teilweise zu sehr mit verständnislosem Kopfschütteln beschäftigt um mir saubere Notizen zu machen.

Zwei Referenten, aber nur ein Blickwinkel

Den ersten Vortrag hielt Daniel Nübling, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender des hiesigen Vereins Medienkompetenz Team e.V. In seinen Ausführungen machte er deutlich, dass im Internet viele Gefahren auf Kinder lauern können. Sein Schwerpunktthema „Smartphone-Nutzung“ beschäftigt sicherlich viele Eltern. Sein Hauptargument zum richtigen Umgang mit dem Smartphone war, dass Eltern ihre Kinder schützen müssen: vor Datenkraken, vor falschen Wahrheiten, und vor sich selbst, da sie ja noch zu wenig über diese digitale Welt wissen, in der sie mit dem Smartphone navigieren. Am Ende seiner Ausführungen forderte er eine digitale Mündigkeit für Kinder (und deren Eltern), die es ermöglichen soll, souverän mit diesen neuen und/oder den Sozialen Medien umzugehen.

Die zweite Präsentation hielt Matthias Lange, freier Journalist, früher für Printmedien tätig und heute Kopf der redaktion42. Auch er betonte nachdrücklich die Gefahren, die im Netz lauern und warf dabei alles von FakeNews bis DeepFake in einen großen Topf. Er kritisierte die Geschäftsmodelle großer Sozialer Medien, die mit dem europäischen Datenschutz nicht oder nur sehr schlecht vereinbar sind und schloss damit, dass digitale Kommunikation im Internet schnell eskalieren und kaum noch eingefangen werden kann.

Die Nutzer werden nur als Konsumenten gesehen, egal ob beim Smartphone oder in den Sozialen Netzwerken. Und gegenüber den großen Herstellern bzw. Betreibern dieser Produkte zeichnen beide Referenten ein Bild von Kindern und Eltern, die diesen Produkten und dem System machtlos erlegen sind.
Nübling zeigte – und das war der einzige Lichtblick der Veranstaltung – einige technische Möglichkeiten auf, Smartphones in ihren Funktionen einzuschränken und damit dem freien Zugriff auf das wilde Internet Einhalt zu gebieten.

Ist dieses Abschotten wirklich der Schutz, den unsere Kinder brauchen? Ich glaube nicht! Zumal sich Nübling damit seiner eigenen Forderung nach digitaler Mündigkeit widerspricht: Wer Kinder abschottet, bevormundet sie; und wer die Verantwortung der Kontrolle über das Smartphone einer Software überlässt, bevormundet sich selbst! Lange machte lediglich Apelle ans Publikum, sich den Datenkraken zu verweigern. So wird das Problem nur beseitigt, nicht gelöst.

Beide Redner eint, dass sie vehement auf Probleme zeigen, die nicht wegzudiskutieren sind. Es ist richtig und wichtig, dass man jeden, der sich mit dem Thema befasst am Anfang der Diskussion abholt. Aber ich frage mich wirklich, ob dazu eine dermaßen negative und destruktive Haltung nötig ist?

Ein anderer, besserer Weg?

Gehen wir es doch mal von der positiven Seite an: Das Smartphone ermöglicht es jedem von uns, selbst Content zu erstellen (siehe oben: Fotografieren, zeichnen, Videos drehen, Texte verfassen) – und diese im Internet zu teilen. Es erscheint mir viel sinnvoller, diese vielfältigen Möglichkeiten und Chancen, die sich durch das Digitale jedem einzelnen eröffnen, aufzuzeigen und daran die Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft zu erörtern. Wenn man diesen Gedanken konsequent folgt, kommt man zu den selben Problemen (Reichweite, Targeting, Tracking, Fake oder nicht Fake), hat sich aber von der anderen Seite genähert.

Damit ist die Motivation, sich konstruktiv mit der Materie auseinanderzusetzen ungleich höher. Sicherlich ist es nicht einfach, diese Diskussion kindgerecht zu führen, aber es ist meiner Meinung nach ein viel besserer Weg, als mit der „das-Internet-ist-Böse-Keule“ zu kommen und alles zu verbieten und wegzuschließen. Wir wissen doch alle, dass gerade das Verbotene besonders reizt.

An dieser Stelle will ich eine Parallele ziehen und behaupte, dass „Medienkompetenz fördern“ sehr eng mit „Bildung über und mit Medien“ einhergeht. Und diese Medienbildung ist zumindest hier in Baden-Württemberg inzwischen prominent in den Bildungsplänen aller Schulen platziert. Eltern stehen nicht alleine da: Es gibt viele Schulen und Lehrkräfte, die jetzt schon einen sehr guten Job machen. Aber die vielen Beispiele beider Redner zeigen, dass es noch ein weiter Weg ist, bis wir von einer flächendeckenden Medienkompetenz sprechen können.


Was tun wir also bis dahin? Mein Tipp: Setzt euch mit den digitalen Medien auseinander. In jeder Hinsicht: technisch, sozial, ökonomisch und vielleicht auch ökologisch. Es gibt Netzwerke, die euch dabei unterstützen, tauscht euch aus, niemand kann das ganz alleine packen!

Ja, ich weiß, dass es aufwändig ist, sich in dieses gigantische Feld einzuarbeiten.
Ja, ich bin mir bewusst, dass ich in einer sehr privilegierten Position zu diesem Thema bin.
Ja, vielleicht sind meine Ansprüche etwas hoch.

Sollte man von einer Veranstaltung an einer Universität nicht erwarten dürfen, dass ein differenziertes Bild eines Themas angeboten wird? Und sollte es nicht Zweck solcher (Beratungs-)Veranstaltungen sein, die Menschen positiv gestimmt und voller Tatendrang zu entlassen?


In meinen Augen hat der „Tag der Medienkompetenz“ am KIT in keiner Weise dazu beigetragen, Eltern, Großeltern und Lehrern eine Perspektive aufzuzeigen, die konstruktive Vorschläge zur Gestaltung der digitalen Transformation in den eigenen vier Wänden macht. Damit hat die Veranstaltung, soweit ich es beurteilen kann, ihr Ziel verfehlt.


Wie seht ihr das? Schreibt mir einen Kommentar, ich freue mich über jeden Austausch zu diesem Thema!

  1. Wir erliegen einem medienökonomischen Phänomen. Eine Nachricht ist per Definition aktuell und neu. Damit können Medien nicht oder nur in seltenen Formaten über Alltägliches berichten. Während also z. B. eine harmlose App wie Musical.ly/TicToc als große Gefahr beschrieben wird, nutzen Familien sie mit viel Spaß. Gleiches gilt für Games etc. Das zieht sich durch die gesamte Medienkompetenzdebatte. Ich ermutige in meinen Kursen auch zu einer viel umfänglicheren Mediennutzung, um Gefahren beherrschen, gleichzeitig dann aber auch Digitalisierung mitgestalten zu können. Und die Eltern sind immer sehr dankbar für eine lebenswirklichere Sichtweise und Hilfe. Komme beim nächsten mal gerne bei eurem Mekom-Tag vorbei.

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