An diesem Wochenende habe ich im Netz und auf Twitter im #CoronaCampus (einer Abwandlung des #TwitterCampus) einige Kommentare und Meinungen zum anstehenden Sommersemester gelesen. Bislang hatte ich selbst wenig Zeit, die Sache aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.
Lehre als Dienstpflicht
Auf Twitter stolpere ich dieses Wochenende über folgenden Tweet:
Meine erste Reaktion: WTF? Kann man das überhaupt so vorschreiben? Da ich den Tweet aber nur kurz auf meinem Smartphone vorbei huschen sehe ist der Gedanke und das Thema ziemlich schnell wieder vom Tisch. Unter den Antworten auf diesen Tweet lese ich einerseits starke Ablehnung der Vorschrift gegenüber heraus und dass Lehre von Professor*innen, dem Mittelbau und Lehrbeauftragten hiervon unterschiedlich betroffen seien – aber das kann ich nicht richtig bewerten. Mit Hochschulrecht kenne ich mich (leider) nicht gut genug aus. Das sollte ich beizeiten mal nachholen; immerhin gehöre ich auch zu einer dieser Gruppen…
Erst später bekomme ich eine zweite, viel ausführlicher Meldung in meinen Twitter-Feed, die die Angelegenheit sehr differenziert und ausführlicher betrachtet:
Hier wird klar gesagt, dass eine gewisse Verpflichtung rechtens wäre. Und ich persönlich halte das auch für okay—schließlich haben die Hochschulen einen Bildungsauftrag. Studierende quasi vor die Tür zu setzen, da Lehrende nicht digitalisieren wollen halte ich für falsch. Auf einen meiner eigenen Tweets bekomme ich als Antwort, dass einige Lehrende wohl „Folien/Skript als PDF hochladen, Aufgaben stellen und Antworten per Mail einfordern“ als genügend ansehen:
Möglicherweise würde ein solches Vorgehen den den Pflichten in einem juristischen Sinne gerecht werden. Aber ich bin weder Anwalt, noch habe ich ernsthaft Ahnung. Was ein solches Vorgehen sicherlich nicht zeigt: Engagement für die Lehre, Interesse an den Studierenden oder Motivation und schon gar nicht: Lust an der Herausforderung.
Der Nachsatz im Tweet macht deutlich, worüber sich die (Lehr-)Community schon lange aufregt: es fehlt an Wertschätzung für die Lehre, sowohl im idealistischen, als auch im materiellen Sinne: „Bestraft werden die, die realisieren, dass das Blödsinn ist und keine Ressourcen haben es besser zu machen.”
Da machen es Meldungen wie die vom Göttinger Tageblatt (leider hinter einer Bezahlschranke) nicht besser:
Wenngleich ich diesen Artikel nicht lesen kann, lässt der Tweet und die Überschrift nichts Gutes erwarten.
Ich für meinen Teil bin nach wie vor daran interessiert, das Sommersemester möglichst gut über die Bühne zu bringen.
Mehraufwand durch Digitalisierung?
Viele Kolleginnen und Kollegen sehen in der Umgestaltung auf ein digitales Format einen erheblichen Mehraufwand. Ja, Kurse von analog/Präsenz auf digital zu drehen, kostet Zeit und Hirnschmalz. Ja, es gibt je Fach und Disziplin sehr unterschiedliche Lehrformate, von denen sich einige sehr leicht und mit wenig Aufwand digitalisieren lassen (z.B. Einführungsvorlesungen), Formate, bei denen ist das schwieriger (Seminare die auf Diskussionen aus sind) – und wieder welche, für die scheint es fast unmöglich (Exkursionen und Praktika). Ein langer Thread auf Twitter, der insbesondere darauf abzielt, dass die Situation, in der Lehre stattfindet digital eine ganz andere ist, ist dieser hier:
So sehr ich zustimme, so sehr muss ich doch fragen: Wieso wird die Lehre erst jetzt in 2020 (zwangsläufig durch Corona) digitalisiert? Hätte das nicht alles schon viel eher stattfinden können?
Aber das sind Diskussionen, die in der Hochschuldidaktik bzw. im Bereich E-Learning schon sehr lange geführt werden. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem viele (alle?) schmerzlich merken, dass man „E-Learning“ mal eben nicht nebenher macht. Didaktikeinrichtungen und Service-Zentren predigen das schon seit Langem. Ich hoffe inständig, dass die Corona-Krise hier zu einem nachhaltigen Umdenken führt.
Was mich zum nächsten Punkt bringt: Dem Stolz der Wissenschaftler*innen. Es bahnt sich zwar seit Mitte Februar an, dass wir in diesem Jahr einiges grundlegend verändern müssen; aber wir haben das Jahr auch erstmal wie gewohnt geplant, ohne dass wir wussten, kurz vor Beginn des Sommersemesters Vieles von Grund auf neu zu gestalten. Und dennoch halten – so nehme ich es zumindest wahr – die meisten Lehrenden nur eine „perfekte Lehre“ für gut genug. Warum sind wir nicht ehrlich zueinander und gestehen uns ein, dass uns Corona auf falschen Fuß erwischt hat und wir improvisieren müssen? Die Lernangebote müssen nicht perfekt sein, es reicht, wenn sie gut sind! (Meiner Meinung nach).
Es liegt nicht in der Verantwortung jedes einzelnen Lehrenden, sondern in der Verantwortung von Entscheidungsträgern und der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass diese „nur gute“ und eben nicht perfekte Lehre den Studierenden nicht zum Verhängnis wird. Das #Nichtsemester scheint eine adäquate Lösung zu sein: Studien- und Prüfungsleistungen können erbracht werden, aber es gibt keinen Malus, wenn sie nicht erbracht werden. Die Regelstudienzeit setzt für das Sommersemester aus, bei Fortzahlung von BaFöG und anderen Sozialleistungen. Es darf niemandem durch Corona ein Nachteil entstehen; und gleichzeitig sollten wir diese Situation als Chance begreifen, innovativ zu sein und Neues zu lernen!
Open vs. Closed Source
Eine weitere Sache, die mich ein wenig beschäftigt hat, ist der Rollout von MS Teams (und voraussichtlich wohl Zoom für Videokonferenzen) an meiner Uni, dem KIT. Natürlich begrüße ich es, dass wir binnen kürzester Zeit digitale Kommunikationsmöglichkeiten installiert und supportet bekommen. Aber müssen es solche geschlossenen Systeme sein?
Das KIT hostet federführend (soweit ich weiß) den Dienst BWsync&share, über den viele Landeseinrichtungen in Baden-Württemberg Zugriff auf eine (OpenSource) NextCloud haben. Wir haben die älteste Fakultät für Informatik in Deutschland (seit 1972). Wenn in Deutschland etwas großgeschrieben wird, dann der Datenschutz. Und trotzdem kaufen wir uns solche (geschlossenen, ausländischen) Systeme einfach ein?
Ich denke (hoffe), dass das mit der schnellen Skalierbarkeit zu tun hat. Anders kann ich mir den schnellen Rollout auch nicht erklären, und ich muss es dem Team ja echt lassen: das Ganze ging echt ratzfatz!
Vielleicht werden ja im Hintergrund Serverkapazitäten aufgerüstet, dass wir mittel- bis langfristig auf OpenSource-Lösungen umsteigen. Die NextCloud für Dateiaustausch hätten wir ja schon. Das Talk-Modul darin skalierte wohl in der Testinstallation nicht; aber es gibt ja auch noch BigBlueButton oder Jitsi für Videokonferenzen und MatterMost und RocketChat für Chatbasierte Kommunikation; um jeweils nur zwei Tools zu nennen.
Alles in allem bleibe ich dabei, dass sich zumindest in der Hochschullandschaft Corona als echter Innovations-Katalysator erweist. Das Bild mag hart sein und sicher nicht an allen Stellen zutreffen; aber mein aktueller Gesamteindruck ist schon, dass sich durch die externen und außergewöhnlichen Umstände endlich etwas tut. Die Frage wird sein, wie wir diese Veränderungen nach der Krise beibehalten und/oder fortführen.
Titelbild:
„CoronaCampus“ (CC BY 2.0) by david.lohner