+++ Vortragsmanuskript +++
Ich bin eingeladen, einen Impulsvortrag über das Thema „Digitales Lernen“ zu halten. Der Vortrag dient als Auftakt zum pädagogischen Tag des Reuchlin-Gymnasiums in Pforzheim. Ich selbst habe Lehramt studiert – Geographie und Germanistik – bin aber nach dem ersten Staatsexamen an der Universität hängen geblieben. Ich will in diesem Impulsvortrag keine wissenschaftlich-empirischen Ergebnisse vorstellen, sondern über die Praxis des Lehrens und Lernens sprechen, wie sie in und nach 2020 gestaltet werden kann.
Ich möchte heute folgende Themen anreißen:
Zunächst wäre da die Digitalisierung mit all ihren technischen Facetten, Diskussionen über Hard- und Software im Bildungsbereich gibt es ja noch und nöcher. Danach werfen wir einen Blick darauf, wie Schule und Lernen derzeit organisiert sind und welche Aspekte sich gerade entwickeln. Nach diesem Teil habe ich auch einen kleinen interaktiven Part geplant, damit der Online-Vortrag etwas abwechslungsreicher wird.
Anschließend wird es um Medienbildung und Medienkompetenz, bzw. deren Förderung gehen. Zum Schluss werde ich zeigen, wie all diese Themen letztlich in einer Kultur der Digitalität münden. Die Digitalisierung ist etwas anderes als die Digitalität, zur Unterscheidung später mehr.
Beginnen wir also mit der Digitalisierung.
Was wird darunter verstanden? Häufig wird auch von einer digitalen Transformation (der Gesellschaft) gesprochen, oft von einem nie abgeschlossenen Prozess. Beat Döbeli Honegger, Schweizer Informatiker an der PH Schwyz, zeigt in dieser Grafik sein Verständnis von Digitalisierung als einem Prozess:
Demnach nimmt die Bedeutung des Digitalen mit der Zeit zu; hier aufgetragen sind jeweils Schlüsselpunkte der Entwicklung. Alle diese Entwicklungen entspringen gesellschaftlichen Kräften, die wiederum zu mehr Digitalisierung führen. Ob wir jemals einen (End-)Zustand erreichen, bleibt aber auch hier offen. Philippe Wampfler hingegen sieht die Digitale Transformation als abgeschlossen an2. Diese Grafik wurde auf Twitter heiß diskutiert (Vorängerversionen hier und hier), was zeigt, wie uneins wir uns eigentlich in Bezug auf die Sache sind, wenn wir den Begriff „Digitalisierung“ verwenden. Setzt man ein grundlegendes informatisches Verständnis an, bezeichnet „Digitalisierung“ lediglich die Umwandlung von analog in digital. That’s it.
Im Bildungsbereich ist der Begriff meist gleichzusetzen mit einer langen Debatte um Hardware, Breitbandanschlüsse und Software, Tools und Clouds. Diese Diskussion wird schon sehr lange geführt und ist zumindest von der politischen Seite im Digitalpakt Schule gemündet. Soweit so gut, das alles ist noch gar nicht so lange her, aber es war immerhin vor Corona – und es kommt uns vermutlich deshalb schon viel länger her vor.
Dadurch ist klar: der Bildungsbereich – insbesondere die Schulen – werden über kurz oder lang mit digitaler Infrastruktur versorgt werden. Besser spät als nie. Dass jede Schule dazu einen Medienentwicklungsplan erstellen muss, halte ich selbst für sehr sinnvoll. Niemand sollte Millionen von Euros ausgeben ohne zu wissen, was er mit den ganzen Einkäufen anstellen will.
Die Corona-Krise hat uns nun vor Augen geführt, dass diese digitale Infrastruktur „etwas“ zu spät kommt, bzw. wir sie bereits Anfang März gut hätten gebrauchen können. Demnach war der Sprung ins kalte Wasser für viele Schulen, Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen – eigentlich für uns alle – ziemlich unangenehm. Dennoch hat es vielerorts geklappt, aber an mindestens genau so vielen Orten ging das Ganze auch grandios nach hinten los.
Nach allem, was ich weiß, ist das Reuchlin-Gymnasium in Pforzheim in puncto Technik recht gut aufgestellt, was das Programm für den pädagogischen Tag am 23.10. zeigt: es wird über konkrete Tools gesprochen und wie damit (Distanz-)Unterricht gehalten werden kann.
Insofern ist die Coronakrise sicherlich nicht Treiber der Entwicklung, in jedem Fall aber ein Weckruf gewesen, den inzwischen alle gehört haben sollten. Durch sie müssen wir nun neue Konzepte in kürzester Zeit entwerfen und im „Reallabor“ prüfen, wir haben keine Zeit, sie vor ihrem Einsatz zu evaluieren. Das geschieht im laufenden Prozess – und was wir im Moment erleben ist eine extrem spannende Zeit. Denn wir haben es in der Hand, ob und wie sich Schule nach 2020 verändert.
Welche Bedeutung haben die digitalen Medien nun also in Schule und Lernen? Hier lohnt ein Blick in die Vergangenheit um sich klarzumachen, woher Schule eigentlich kommt und wie sie bis heute weitgehend unverändert funktioniert. Die Schulpflicht in Deutschland wurde eingeführt, als die Industrialisierung in vollem Gang war und hatte zum Ziel, aus jungen Menschen funktionierende Arbeiter oder Beamte zu machen. D.h. vorne ging man in das System hinein, und hinten kam man fertig heraus um – im besten Fall – des Rest seines Lebens einem bestimmten Beruf nachzugehen.
Der Unterricht findet bis heute an vielen stellen frontal statt; übrigens auch in den Hochschulen, Stichwort „Vorlesung“. D.h. eine Lehrperson vermittelt den Stoff, den der Lehr- oder Bildungsplan vorgibt, der wiederum von den Schüler*innen gelernt werden soll. In Prüfungen muss dieser Stoff dann reproduziert werden können – auch hier: an der Uni ist das mit dem Bulemie-Lernen fast noch schlimmer als in der Schule. Lernenden wird also haarklein und Schritt für Schritt vorgegeben, wie ihr Bildungsprozess auszusehen hat.
Anfang der 2000er-Jahre gab es eine Gruppierung, die erkannt hat, dass diese Form der Bildung nach strikten Vorgaben, die frei von jeglicher individuellen Gestaltungsmöglichkeit durch die Lernenden nicht mehr zeitgemäß ist. Die so genannten 21st Century Skills traten auf den Plan. Sie sollten sicherstellen, dass Lernende auf die Welt vorbereitet werden, wie sie seit spätestens den 80ern ist: sich ständig verändernd, immer stärker vernetzt, Anforderungen an Arbeitnehmer*innen wechseln ständig, es ist kaum üblich, wie früher ein ganzes Leben in einem einzigen Beruf zu verbringen. Es war damals – und wird mit jedem Tag mehr – absehbar, dass die Welt sich in der Tat immer rasanter verändert. Vorgeschriebene Bildungspläne können aber immer nur einen Stand der Vergangenheit berücksichtigen, selten die Zukunft antizipieren.
Aus diesen 21st Century Skills wurde das 4K-Modell des Lehrens und Lernens abgeleitet. Auf diese 4K möchte ich etwas genauer eingehen.
Die Abkürzung beschreiben vier Schlüsselkompetenzen, die für ein Bestehen in der heutigen (Arbeits-)Welt nötig sind:
- Kreativität
- Kritisches Denken
- Kollaboration und
- Kommunikation.
Dabei gibt es aber einige Fehlannahmen, was genau sich hinter diesen Begriffen verbirgt, die Jöran Muuß-Merholz bereits aufgearbeitet hat.
Unter Kreativität ist nicht zu verstehen, was man zum Beispiel im Wirtschaftsleben mit der Kreativ-Branche verbindet: Künstler*innen, Musiker*innen und Denker*innen, die stets aus sicher heraus Neues erschaffen. Es geht darum, Bestehendes – im Bildungsbereich – bestehendes Wissen aktiv zu nutzen, neue Verbindungen herzustellen und so Lösungen für unsere Probleme zu finden. Eine kreative Herangehensweise muss nicht immer etwas völlig neues hervorbringen, es reicht oft, zwei sehr gut funktionierende Dinge kreativmit einander zu kombinieren. In der Wissenschaft werden daher zum Beispiel interdisziplinäre Forschungsprojekte so stark gefördert.
Das Kritische Denken bedeutet nicht, dass man fähig ist, Kritik zu üben und diese (auch noch möglichst laut) mitzuteilen. Es geht vielmehr darum, selbständig denken zu können, selbständig lernen zu können. Und zwar unter der Berücksichtigung äußerer Einflüsse und Rahmenbedingungen. Diese Einflüsse muss man sich aber auch erst einmal bewusst machen, man muss also seinen eigenen Blick deutlich über den Tellerrand erweitern, Dinge hinterfragen und möglichst viele Eventualitäten gegeneinander abwägen.
Die Kollaboration, also die Zusammenarbeit meint, mit anderen gemeinsam arbeiten oder lernen und denken zu können. Kollaboration bedeutet nicht, arbeitsteilig unterwegs zu sein, sodass jeder nur seinen Teil beiträgt und die Teile später zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden. Es geht um ständigen Austausch, gegenseitige Rücksichtnahme und Feedbackkulturen; dieses der 4K hängt eng mit der Kommunikation zusammen. Im Bezug auf die digitalen Medien bedeutet Kommunikation nicht, dass ich lediglich weiß, wie ich mit digitalen Medien umgehe um darüber zu kommunizieren, indem ich z.B. weiß, wie ich E-Mails schreibe oder in WhatsApp eine Sprachnachricht versende. Es geht eher darum, sich diese neuen Wege der Kommunikation und deren Eigenheiten zunutze zu machen um sich selbst mitzuteilen.
Die 4K sind sicherlich Kompetenzen, die im 21. Jahrhundert von jedem Arbeitnehmer dringend gebraucht werden. Insbesondere die letzten zwei Ks, Kollaboration und Kommunikation sind mit die wichtigsten Qualifikationen, die man in jeden Job mitbringen muss. Niemand in unserer heutigen Arbeitswelt arbeitet isoliert für sich alleine an einem Projekt. Teamwork wird überall großgeschrieben, zumindest in den Berufen, auf die das Gymnasium hinarbeitet.
Wenn also die Schule für diese Arbeitswelt vorbereiten soll, dann lohnt sich ein Abgleich der Anforderungen an die Schulabgänger*innen, auf die diese im Arbeitsleben treffen werden mit den Bedingungen, unter denen in der Schule das Lernen stattfindet. Die 4K stehen – meiner Meinung nach – dem Schulsystem in seiner derzeitigen Form beinahe diametral gegenüber. Denn was ist (für Schüler*innen) das wichtigste in der Schule? Die Noten.
Die Leistungsüberprüfung in der Schule in Form von Klassenarbeiten findet aber oft so statt:
Es werden Fragen gestellt, die unter Zeitdruck beantwortet werden müssen. Dabei steht während des vorbereitenden Unterrichts stets die Frage im Raum „Kommt das in der Klausur dran?“ – also wird Wissen lediglich reproduziert. Kreative Antworten werden mit Punktabzug gestraft. Das heißt, es bleiben nur noch 3 der Ks übrig.
Je nach Fach gibt es für Klassenarbeiten Erwartungshorizonte, also vorgegebene Antworten, auf die im Unterricht in aller Regel hingearbeitet wird. Wenn das Wissen dann reproduziert wird, geben diese Erwartungshorizonte vor, was die Maximalpunktzahl ist. Wer also kritisch denkt und das im Unterricht präsentierte Wissen in einer Klausur hinterfragt, wird ebenfalls mit Punktabzug gestraft.
Bleiben nur noch zwei der Ks, die ich für meinen letzten Punkt zusammenfassen möchte. Sie erinnern sich: Kollaboration und Kommunikation – wer diese Fähigkeiten während einer Deutschklausur einsetzt, darf in aller Regel den Klassenraum gleich verlassen. An der Universität haben wir dafür den schönen Begriff „Täuschungsversuch“.
Ich frage also: Wenn das Schulsystem Schüler*innen wirklich auf die (Arbeits-)Welt vorbereiten möchte, wieso um alles in der Welt halten wir so an dieser Art von Unterricht und Leistungsüberprüfung fest?
Ich haben nun ausführlich über Digitalisierung und die 4K gesprochen. Einen konkreten Zusammenhang habe ich dabei noch nicht gezeigt. Dazu muss ich etwas ausholen, indem ich nun das Konzept einer Kultur der Digitalität vorstelle.
Dieser Begriff stammt von Felix Stalder, Professor für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung an der Zürcher Hochschule der Künste. Er beschreibt – zunächst fernab vom Bildungssystem – die aktuelle Lebenswelt von uns als – eben diese – Kultur der Digitalität. Diese Kultur baut auf den drei Kategorien der Gemeinschaftlichkeit, der Referentialität und der Algorithmizität auf. Insbesondere am letzten Begriff merkt man, dass das was mit digitalen Medien zu tun hat, denn aus diesem Bereich kennen wir Algorithmen. Es gibt aber auch viele Algorithmen, die ganz ohne Strom auskommen. Was meinen diese drei Kategorien also?
Unter Gemeinschaftlichkeit versteht Stalder, dass Dingen Bedeutung zukommt, indem wir sie mit anderen Individuen teilen. Bestes Beispiel: Social Media. Ist etwas für mich wichtig, teile ich es auf Twitter, Facebook, Instagram, TikTok oder auf anderen Plattformen. Andere Nutzer*innen dieser Plattformen, mit denen ich dort verbunden bin, sehen diese Informationen – sei es ein Text, ein Bild oder ein Video und können damit interagieren. Dadurch entsteht ein gemeinsamer Wissenshorizont, durch Likes und Kommentare und durch das erneute Teilen von ähnlichen Inhalten entsteht so ein gemeinsames Wissen um diese (kulturellen) Errungenschaften. So werden Regeln einer Peer-Group, einer Community oder einer ganzen Gesellschaft im laufenden Prozess ausgehandelt und festigen so diese Gemeinschaften.
Im Bildungsbereich könnten diese geteilten Inhalte zum Beispiel Arbeitsblätter sein, Texte, Aufgaben und Lösungsvorschläge. Also alle Materialien, mit denen wir Bildungskontexte gestalten. Wenn diese als Open Educational Ressource weiter nutzbar und teilbar sind, wächst unsere Community immer weiter.
Das bedeutet, dass sich die Kultur der Digitalität mitunter durch diese gemeinschaftlichen Werte auszeichnet. Das alleine reicht aber noch nicht.
Die Referentialität spielt ebenfalls eine große Rolle. Damit meint Stalder, dass wir Dingen Bedeutung beimessen, indem wir sie in unseren eigenen Gedanken und Werken referenzieren. Die Wikipedia kann als Beispiel herangezogen werden, denn jeder Artikel dort verweist auf zahlreiche andere Artikel, um Fakten zu belegen oder Querverweise herzustellen. Auch ich zitiere in diesem Vortrag andere Personen und zeige damit, dass diese Inhalte mir wichtig sind. Wenn Sie als Rezipienten dem zustimmen, werden diese Referenzen weitergetragen und tragen so ebenfalls zur Kultur der Digitalität bei.
Durch das Internet sind aber all diese Informationen, die wir gemeinsam teilen und die wir referenzierten können so massiv viele geworden, dass wir als Menschen sie nicht mehr überblicken können. Wir brauchen also Maschinen oder Programme, die uns diese Informationen automatisiert, eben durch Algorithmizität, vorsortieren. D.h. in meinem Facebook-Feed tauchen gleichberechtigt neben den geteilten Inhalten meiner Freunde auch Inhalte auf, die vom Algorithmus ausgewählt wurden um sie mir zu präsentieren. Es ist für mich als Nutzer nicht immer unterscheidbar, ob eine Information von Menschen oder von Algorithmen in meinen Wahrnehmungsbereich gespült wurde. Suchmaschinen sind ebenfalls ein sehr gutes Beispiel für diese maschinelle Vorsortierung.
Der Punkt ist, dass wir in dieser Kultur leben und sie praktizieren, egal ob wir digitale Medien nutzen oder nicht. Denn auch wenn wir analoge Unterrichtsmaterialien auf Papier austauschen, darin auf wissenschaftliche Lehrbücher aus Papier referenzieren und sie dann nach festgeschriebenen Regeln – eben einem Algorithmus – in einem Aktenschrank oder Regal sortieren, bedienen wir alle drei Kategorien einer Kultur der Digitalität.
Und was haben die 4K mit der Kultur der Digitalität zu tun? Ich denke, dass die 4K die drei Kategorien Gemeinschaftlichkeit, Referentialität und Algorithmizität sehr gut wiedergeben:
Kollaboration (Beispiel Social Media) entspricht der Gemeinschaftlichkeit, wir schaffen gemeinsam Bedeutungen und.
Kommunikation entspricht weitgehend der Refentialität, da wir Informationen weitergeben und über Kommunikation mit anderen sprechen. Dabei meine ich nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch Gespräche über schriftliche Kommunikation wie Zeitung oder Nachrichten im Fernsehen. Kommunikation hat ja mehr Modi als nur one-to-one, sie kann auch one-to-many oder many-to-many ablaufen.
Und letztlich stehen Kreativität und das kritische Denken für die Algorithmizität, da wir all die Informationen, die uns zur Verfügung stehen auf eine neue Weise (also kreativ) ordnen müssen – und sie dabei je nach Kontext auch (kritisch) einordnen müssen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den konkreten Gebrauch digitaler Medien, Dienste und Endgeräte blicken:
Der Umgang mit den digitalen Medien, die uns diese Kultur ermöglichen, muss natürlich eingeübt werden. Wir müssen Bildungskontexte entlang der Lebenswelt von Schüler*innen gestalten und die digitalen Medien sollten wir heutzutage nun wirklich nicht mehr als Add-On oder Besonderheit betrachten, sondern als gegeben hinnehmen. Das Digitale ist inzwischen eine Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben geworden. Allerdings wird es noch längst nicht so behandelt. Insbesondere im Bildungsbereich müssen sich digitale Medien immer wieder mit einem „Mehrwert“ gegen die alten Medien beweisen. Doch auch die Schrift war ihrerseits gegenüber der Sprache ein neues Medium. Heute nutzen wir Schrift und Sprache selbstverständlich nebeneinander, hierzu gibt es keine Mehrwertdebatte. Warum also sollte das für die digitalen Medien anders sein?
Dennoch scheint es angebracht, den Umgang mit digitalen Medien strukturiert im Bildungsalltag unterzubringen. Hierzu gibt es zahlreiche Medienkompetenzmodelle. Ein einfaches davon ist das Dagstuhl-Dreieck. Es wurde von der Gesellschaft für Informatik mitentwickelt und zeigt, dass beim Umgang mit digitalen Medien stets drei Seiten zu beachten sind: Eine technische Seite („Wie funktioniert das?“), eine anwendungsorientierte Seite („Wie nutze ich das?“) und eine gesellschaftlich-kulturelle („Wie wirkt das?)“
Wenn beim Einsatz von Medien diese Seiten beleuchtet werden, ist das ein sehr guter Anfang, Gegenstände im Digitalen multiperspektivisch zu erarbeiten. Es gibt noch sehr viel komplexere Modelle wie zum Beispiel den DigCompEdu, den europäischen Rahmen für digitale Kompetenz. Dieser ist auch Ergebnis einer politischen Diskussion und letztlich Rahmen für das Papier, dass Sie alle als Lehrer*innen kennen sollten: Das Strategiepapier der KMK zum Thema „Bildung in einer digitalen Welt“. Dieses Kompetenzmodell ist sicherlich deutlich konkreter als das Dagstuhl-Dreieck. Auch in den Bildungsplänen des Landes Baden-Württemberg ist die Medienbildung bereits als Leitperspektive angekommen. Im Rahmen meiner Tätigkeit am Karlsruher Institut für Technologie haben wir gemeinsam mit dem Kultusministerium sogar einen Online-Kurs erstellt, der die damals neuen Leitperspektiven erläutert.
Die Frage, die Sie sich als Schule und Kollegium also stellen müssen lautet nicht ob, sondern WIE wir die digitalen Medien in unser pädagogisches Handeln integrieren können?
Hierzu ein Hinweis, der mir persönlich im Zusammenhang mit der Förderung von Medienkompetenz sehr wichtig ist:
Wenn in Bildungskontexten von digitalen Medien und Medienkompetenz(Förderung) die Rede ist, sollten wir natürlich die „Gefahren für unsere Jugend“ im Kopf behalten: FakeNews, Cybermobbing in all seinen modernen Facetten, Datenschutz – aber bitte, bitte: lasst uns konstruktive und positive Einstiege in das jeweilige Thema finden. Das Framing, also der Rahmen der Betrachtung, der Blickwinkel ist relevant – und niemandem ist geholfen, wenn wir erst den Teufel an die Wand malen und dann sagen „okay, und was tun wir jetzt dagegen?“
Wir sollten den umgekehrten Weg einschlagen: Wir sollten kreativ mit den Medien umgehen lernen und dann kritisch überlegen, welche Folgen unser Handeln haben könnte.
Die politischen Rahmenbedingungen sind also ebenfalls gesetzt. Sie sind Bestandteil unserer Lebenswelt und – vermutlich noch in viel höherem Maße – der Lebenswelt aller unserer Schüler*innen.
Es gibt einfach keinen Grund mehr, sich dem Digitalen zu verweigern. Jetzt, durch die Corona-Krise sogar noch weniger. Denn Unter Umständen blicken wir einem Semester bzw. Schulhalbjahr entgegen, das erneut weitgehend im Distanz Unterricht durchgeführt werden muss – oder zumindest sollte.
Die Digitalisierung bringt uns neue Möglichkeiten, die zwar langsam, aber sicher den Weg in die Schulen finden. Es ist an Ihnen, diese Möglichkeiten zu nutzen, das Lehren und Lernen so zu gestalten, damit Schüler*innen auf die Welt außerhalb der Schule vorbereitet werden. Ich sage bewusst nicht auf „das echte Leben“ – denn für Schüler*innen ist die Schule das echte Leben! Es liegt nicht nur, aber maßgeblich mit an den Schulen, Medienkompetenz bei Schüler*innen zu fördern und damit den heranwachsenden Generationen zu zeigen, wie sie ihr Wissen kreativ einsetzen können, dass sie kritisch denken können, und dass Kommunikation und Kollaboration in unserer immer stärker vernetzten Welt essenzielle Schlüsselqualifikationen sind.
Erst wenn das – der souveräne Umgang mit dem Digitalen und eine gelebte Kultur der Digitalität – zusammenkommt, entstehen Lernräume, die meiner Meinung nach wirklich zeitgemäß sind. Dann erst verwenden wir die Medien und Methoden, die auch in der Welt außerhalb der Schule für Schüler*innen Bedeutung haben – und nur so können Schulabgänger*innen an unserer Gesellschaft sinnvoll partizipieren und haben das Handwerkszeug, ihre eigene Zukunft aktiv zu gestalten!
Vielen Dank.
Beitragsbild: „Einschulung“ (CC BY 2.0) by david.lohner