Rezension: „How to WiMi“
Rezension des Ratgebers: „How to WiMi“ von Holger Angenent und Freya Willicks (2024). Der Ratgeber richtet sich an wissenschaftliche Mitarbeitende (WiMis) an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Wann liest man einen Ratgeber? Wohl kaum, nachdem man mit der beschriebenen Tätigkeit fertig ist, oder? Dann bin ich mit dieser Rezension gerade noch rechtzeitig, da sich meine Zeit im unmittelbaren Dienst der Wissenschaft an der Universität dem Ende neigt. Die letzten 10 Jahre bin ich in verschiedenen Positionen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am KIT tätig gewesen und befinde mich zur Zeit (Anfang 2025) in der Phase kurz vor Abschluss meiner Promotion – und was danach kommt, steht schon fest (aber das ist etwas für einen anderen Blogbeitrag – die ihr auch per Mail abonnieren könnt).
Trotzdem habe ich mir den Ratgeber „How To WiMi“ von Holger Angenent und Freya Willicks angesehen, der im Dezember 2024 im transcript Verlag bei UTB erschienen ist. Es gibt zusätzlich zur Verlagsausgabe auch eine Webseite, die ihr unter https://www.howtowimi.de findet und auf der die beiden euch mit zusätzlichen Angeboten die Inhalte des Ratgebers (und vermutlich darüber hinaus) nahebringen.
Vorweg: Ihr werdet vom Ratgeber – anders als in dem Genre üblich – direkt mit Du angesprochen. Mir persönlich sagt das extrem zu und es kommt mir fast so vor, als würden Holger und Freya die einzelnen Kapitel des Ratgebers Stück für Stück mit mir durchgehen. Der lockere Ton macht beim Lesen erfrischend Laune – z. B. wenn ein bewunderndes „(wow!)“ oder ein ironisches „...super“ die gerade formulierten Texte auf einer Metaebene kommentieren.
Mein Bezug zum Ratgeber
Der Begriff WiMi ist für mich (vor allem als Selbstbezeichnung) auch nach all den Jahren ungewohnt – das mag daran liegen, dass ich einerseits in Baden-Württemberg tätig bin und diese Personengruppe hier „akademische“ Mitarbeitende heißt („AkMi“ klingt aber auch schräg), andererseits bin ich beruflich in einer E-Learning Servicestelle sozialisiert worden, in der deutlich weniger explizit geforscht wird, als an "normalen Instituten" einer Universität die Regel ist. Wie dem auch sei — beim Lesen des Ratgebers habe ich mich trotz anderer Bezeichnungen sehr oft in den zahlreichen und anschaulichen realen wie fiktiven Fallbeispielen wiedererkannt, die Holger und Freya liefern.
Ich möchte diese Rezension auch nutzen, um auf meine eigene Laufbahn zurückzuschauen und zu überlegen, wie sie wohl verlaufen wäre, wenn ich diesen Ratgeber bereits vor zehn Jahren in Händen gehalten hätte. Es ist ein persönlicher Blick, der hoffentlich mit dem ein oder anderen Leser:in resoniert und Personen, die sich gerade auf den Weg in den wissenschaftlichen Dienst machen, bei ihren Entscheidungen hilfreich ist.
Die Inhalte
Der Ratgeber ist in drei Teile gegliedert, die jeweils unterschiedliche Phasen des WiMi-Daseins abdecken. Zunächst geht es um den Überblick des Wissenschaftssystems. Nach dem Studium erlebt man die Uni (oder Hochschule) von einer ganz anderen Seite, deren komplexes Wirkungsgefüge sich erst nach und nach erschließen lässt. Im zweiten Teil werden typische Tätigkeiten akademischer Mitarbeitender einer Uni geschildert. Zu diesem Hauptteil gibt es meiner Meinung nach am meisten zu sagen – auch wenn der Ratgeber sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt (was im Angesicht der vielseitigen und vielschichtigen Berufsbilder im Hochschulkontext auch gar nicht möglich wäre). Schließlich runden Holger und Freya, die zusammen auf 20 Jahre Erfahrung im Wissenschaftssystem zurückblicken können, ihr Werk mit einem Ausblick auf die PostDoc-Phase und dem ab, welche Wege eine Karriere innerhalb und außerhalb der Wissenschaft einschlagen kann.
Teil 1: Überblick in der Wissenschaft
Ich gebe zu – ich habe in all den Jahren keinen einzigen Promotionsratgeber gelesen. Ich hatte sicherlich einige aus der Uni-Bibliothek ausgeliehen, aber mehr, um das eigene Gewissen zu beruhigen. In „How to WiMi“ stellt der erste Teil das dar, was ich mir von all diesen Ratgebern gewünscht hätte: eine wirklich prägnante, interessant und bisweilen unterhaltsam zu lesende Übersicht über das, was einen erwartet, wenn man sich für die Arbeit in der Wissenschaft und – wie in meinem Falle – eine Promotion entscheidet. Ich will nicht sagen, dass die Lektüre von „How to WiMi“ das Lesen tiefergehender Promotionsratgeber erspart, ich glaube vielmehr, dass dieser Einstieg super geeignet ist, herauszufinden, zu welchen spezifischen Themen man noch mehr Fragen hat.
Würde vor meiner Tür auf einmal ein DeLorean mit Fluxkompensator stehen, würde ich dieses Buch schnappen und es dem Vergangenheits-David bringen. Als jemand, der selbst unmittelbar aus dem Studium in eine E-Learning Service Einrichtung, also in den Third Space (auch dieser Begriff wird im Ratgeber kurz erläutert), gestolpert ist, hätte ich mir eine derart einfache Erläuterung sehnlichst herbei gewünscht. Holger und Freya erklären in prägnanten Absätzen, wie Hochschulen als Organisation i. d. R. strukturiert sind, wie und welche Finanzströme bestimmte Entscheidungen und Entwicklungen in Hochschulen beeinflussen, warum es okay ist, sich manchmal überfordert zu fühlen und bringen viel Licht ins Dunkel der unterschiedlichen Promotionsformen (von denen ich zu Beginn noch gar keinen Peil hatte).
Gerade im ersten Teil des Buchs scheinen die zahlreichen Reflexionsfragen enorm hilfreich (ob sie es wirklich auch sind, kann ich qua meines Fortschritts in meiner akademischen Vita retrospektiv nicht mehr beurteilen): Man wird regelrecht gezwungen, darüber nachzudenken, ob und wie man selbst bestimmte Dinge entscheiden oder angehen würde.
Ein kurzer Abriss über einen mehr oder weniger idealtypischen Verlauf der Promotionsphase bildet den Abschluss dieses Kapitels. Wie der gesamte Ratgeber sind viele Argumente für und wider bestimmte Positionen durch wissenschaftliche Quellen und Statistiken belegt.
Teil 2: typische WiMi Tätigkeiten
Mit eben solchen Quellen umzugehen, ist die Kerntätigkeit der Wissenschaft. Der zweite Teil des Ratgebers widmet sich einigen ausgewählten Tätigkeiten des akademischen Mittelbaus. Hier steht außer Frage, dass Holger und Freya auf enorm viel eigene Erfahrung zurückgreifen können, sodass sie die Beispiele und sonstigen Ausführungen sehr lebendig beschreiben. Im gesamten zweiten Teil könnten einige Aspekte, die erst im Kapitel zum „akademischen Kapital“ erwähnt werden, schon genannt werden. Ich kann die Entscheidung, zunächst beim Allgemeinen zu bleiben, allerdings gut nachvollziehen. Immerhin ist solch ein Ratgeber als Buch doch in eine lineare Struktur zu bringen, die in sich schlüssig sein soll.
So beschreiben die beiden die hauptsächliche wissenschaftliche Tätigkeit hervorragend, geben praxisnahe Tipps und appellieren an Durchhaltevermögen, wenn es darum geht, wissenschaftliche Literatur zu lesen. Der Verweis, warum eine digitale Literaturverwaltung sich als sehr sinnvoll und lohnend erweist, ist einer der Kandidaten, der erst im dritten Teil auftaucht (abgesehen von einer Klammerbemerkung). Dasselbe betrifft die Rolle von Fachgesellschaften zu (an dieser Stelle ein Dank fürs Erwähnen „meiner“ Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd)): Dass diese regelmäßig Fachtagungen ausrichten, die ein idealer Ort für die Vernetzung außerhalb des eigenen Instituts/der eigenen Hochschule sind, wird ebenfalls erst im Kapitel zum akademischen Kapital erwähnt. Was ich dabei vermisse (vielleicht, weil ich es selbst sehr intensiv betrieben habe): Das „Engagement“ dort wird nicht näher erläutert. Für Personen, die neu in solche Netzwerke kommen, könnte nahegelegt werden, sich in der Organisation bestimmter Themen- oder Arbeitsgruppen einzubringen, oder deren Treffen regelmäßig (und aktiv) zu besuchen.
Was mich besonders freut, ist das wirklich gelungene Kapitel zur Hochschullehre. Der unmittelbare Austausch mit Studierenden ist der Teil meiner eigenen Arbeit, der mir besonders viel Freude bereitet – und der vom System Wissenschaft zumeist sträflich vernachlässigt wird. Umso erbaulicher, dass „How To WiMi“ diesem Thema ausführlich und gut strukturiert eine Bühne bereitet, Ängste nimmt und klare Hinweise gibt, wie dieses komplexe Handlungsfeld handhabbar gemacht werden kann. In der Tat fehlen den meisten WiMis zu Beginn ihrer Karriere (fach-)didaktische Fähigkeiten. Wer die Ratschläge, die hier genannt werden, befolgt, sollte zumindest bis zur ersten hochschuldidaktischen Weiterbildung gut gerüstet sein, sich eigenständig in die Materie einzuarbeiten.
Und die sozialen Medien?
Als jemand, der sich selbst gerne als „Nerd“ bezeichnet, vermisse ich außerdem den Aspekt des explizit digitalen Networking. Im Kapitel zu Fachkonferenzen geben Holger und Freya wichtige Tipps (vor allem: Sprecht Leute an, die oder deren Arbeit ihr interessant findet, sie werden es euch danken). Dass Konferenzen in sozialen Medien häufig über bestimmte Hashtags begleitet werden und eine wirklich niederschwellige Art des Austauschs ermöglichen, findet sich in dem Ratgeber leider nicht. Vielleicht ist diese Einschätzung auch nur dem Umstand geschuldet, dass ich mein komplettes Netzwerk zu Beginn meiner Laufbahn ausschließlich über solche Kanäle aufgebaut habe und (fälschlicherweise?) annahm, andere würden es ähnlich tun. Gleichzeitig ist 2025 für einen solchen Ratschlag (denn das sollen Ratgeber ja leisten) ein denkbar ungeschickter Zeitpunkt, wo mit all den Entwicklungen um die großen Plattformen so vieles im Umbruch ist.
Der DFG-Kodex zur Guten wissenschaftlichen Praxis
Die Tatsache, dass unser Wissenschaftssystem – und damit auch die Tätigkeit als WiMi – große Stücke auf die (individuelle) Freiheit hält, wird im gesamten Buch immer wieder genannt und ist sicherlich eines der größten Privilegien unseres Berufsstandes. Dennoch kommen auch wir (aka „die Wissenschaftler:innen“) nicht ohne Regeln aus und genießen dafür sogar den Luxus, sie uns mehr oder weniger selbst aufzuerlegen: Der DFG-Kodex zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis wird von Holger und Freya (wenn ich richtig gelesen habe) ganz beiläufig und im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Präsentationen vorgestellt. Ich für meinen Teil – auch hier spricht die Erfahrung und beispielhaft meine eigene Auseinandersetzung in ganz spezifischen Einzelfällen – hätte mir diese Erwähnung im Kapitel zum Thema Autorschaft wissenschaftlicher Beiträge gewünscht. Ich erlebe selbst regelmäßig, wie in einigen Fachkulturen noch immer „der Doktorvater auf jedem Paper seiner Doktoranden draufsteht“ – auch wenn der inhaltliche Beitrag in vielen Fällen gemessen an den Leitlinien der DFG durchaus fragwürdig ist. Selbstredend wäre eine detaillierte Behandlung der ethischen Leitlinien von Wissenschaft für einen Ratgeber wie „How to WiMi“ ein Rabbit Hole, das man den meisten Leser:innen der eigentlichen Zielgruppe (zunächst) nicht zumuten möchte.
Ein bisschen Kritik
Aber genau hier liegt meinem Erachten nach die größte (und einzige) Schwäche des Ratgebers: Er sagt an vielen Stellen im Grunde „Hey, die Uni und die Wissenschaft, das ist ein Spiel mit festen Spielregeln. Spiel' einfach mit, dann kommst du gut zurecht!“
Das mag für die meisten WiMis stimmen – und wer sich nicht als Studi bereits über die Fachschaft tief in die „politisierte und ritualisierte“ Gremienarbeit vergraben hat, sondern vielleicht von vornherein das Ziel hatte „Promotion und dann in die Wirtschaft“, wird damit auch zurechtkommen. Für die wenigen anderen, die idealistisch drauf sind und vielleicht Lust haben, an den teilweise maroden oder nicht mehr zeitgemäß wirkenden Strukturen etwas ändern zu wollen, liefert der Ratgeber kaum Anhaltspunkte oder mutmachenden Zuspruch. Die Hochschulen als solche sind träge Institutionen. Es gibt zahlreiche implizite Konventionen und wer die nicht kennt, gilt schnell als Sonderling und hat deutlich weniger Chancen, in diesem nur scheinbar meritokratischen System zum Zuge zu kommen. In meinen Augen ist das ein Missstand, an dem jede neue Generation WiMis rütteln sollte. Sich stets der Obrigkeit (sprich: der Institutsleitung oder dem Dekanat) zu beugen, halte ich nicht für den richtigen Weg. Gleichzeitig sehe ich, dass es extrem schwierig ist, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, zu dem eine solche „Auflehnung“ opportun ist: Wenn man im Kollegium das richtige Standing oder die richtigen Verbündeten hat, sollten solche Schritte ohne zu großes Risiko für die eigene Karriere möglich sein. Es ist und bleibt aber immer eine Gratwanderung, derer man sich bewusst sein sollte.
Teil 3: PostDoc und danach?
Welche Wege ergeben sich nach der ersten Befristungsphase (und für viele: nach der Promotion) als WiMi? Dieser Frage geht der dritte Teil des Ratgebers nach und schildert in aller Kürze zahlreiche verschiedene Optionen: In der Wissenschaft, mit dem Ziel der Professur und allen Zwischenstationen, die bis dahin anstehen – oder doch in die Wirtschaft? Oder vielleicht etwas dazwischen?
Auch hier punktet „How to WiMi“ wie im ersten Teil mit zahlreichen Reflexionsfragen, die für mich persönlich das letzte Jahr enorm geprägt haben – steht doch für mich eben jene Grenze der Höchstbefristungsdauer in diesem Jahr im Kalender. Und wenn ich nach 10 Jahren als akademischer Mitarbeiter inzwischen ein umfangreiches Netzwerk habe und mich an vielen Stellen mit Personen austauschen konnte, die all diese unterschiedlichen Wege eingeschlagen haben, bündelt der Ratgeber von Holger und Freya die Überlegungen, die man hier anstellen sollte für alle anderen. Ebenso das kurze Stichwortverzeichnis, das ich andernorts vielleicht als „Buzzword-Bingo“ bezeichnet hätte, ist sehr hilfreich: In einer Auflistung mit jeweils kurzer Erläuterung stehen unterschiedliche Themenbereiche wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Interdisziplinarität u. v. m. um auf die Dinge hinzuweisen, die einerseits absehbar in Zukunft mehr Bedeutung gewinnen und andererseits die gesamte Laufbahn als WiMi gekennzeichnet haben (werden). Hier zeigen Holger und Freya, dass man sich als WiMi in so vielen Teilgebieten der beruflichen Welt zurechtgefunden hat, dass einem im Grunde alle Türen offen stehen. Hier findet man auf jeden Fall den Mut und Zuspruch, den ich weiter vorn als fehlend bezeichnet habe.
Fazit
„How to WiMi“ lässt mich mit einem bekannten Gefühl zurück, das sich am besten als „verlängerte Mittagspause“ beschreiben lässt:
Alle Kolleg:innen haben sich nach einer entspannten Mittagspause wieder in ihre Büros verabschiedet, nur ich selbst sitze noch am Tisch – mit mir: die Autor:innen des Ratgebers. Holger und Freya nehmen sich die Zeit, geduldig und verständlich alle Fragen zu beantworten und zu erklären, worauf man sich eingelassen hat, als man den Arbeitsvertrag an der Uni unterschrieben hat. Es ist ein ehrliches Gespräch unter Freunden; es ist ein tiefgründiges Gespräch, das eigene Werte und Vorstellungen erkunden lässt; und es ist ein Gespräch, das niemals enden sollte, weil man so viel daraus mitnehmen kann.
