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Social-Media-Verbot für Entscheider:innen

Im Diskurs um Medienkompetenz stehen meist Bildungsinstitutionen im Fokus: Schulen. Es wird bisweilen hitzig dabattiert, ob und wie Kinder an Social Media herangeführt werden können oder sollen. Ich frage: Was ist mit einem Verbot von Social Media für politische Entscheider:innen?

David Lohner
· 3 Minuten Lesezeit
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Photo by Alex Haney / Unsplash

Seit Beginn 2025 ist die Welt der sozialen Medien im Wandel. Nach X will auch der Meta-Konzern in seinen Netzwerken (Instagram, Facebook und Threads) auf Faktenchecks verzichten. Ich sehe darin nicht weniger als die Anbiederung an ein sich entwickelndes, faschistisches Regime in den USA, dessen Ausmaße wir derzeit bestenfalls erahnen können.
Der Umgang mit Social-Media-Diensten wird hierzulande häufig im selben Atemzug mit der Diskussion um Medienkompetenz im Allgemeinen thematisiert — und dabei meistens im Kontext von Schule und Bildung diskutiert. An Hochschulen werden entsprechende Kompetenzen meist (meiner Erfahrung nach fälschlicherweise, auch hier besprochen) vorhanden oder bereits ausgebildet betrachtet. Ich frage mich seit einiger Zeit: Ist das nicht zu kurz gedacht? Nutzen nicht Menschen jeden Alters soziale Medien? Und sollten wir nicht hinterfragen, wie wir alle – und vor allem Personen mit (politischer) Entscheidungsmacht — mit diesen Plattformen umgehen?

Medienkompetenz und Aufmerksamkeitsökonomie

Es ist beinahe erstaunlich, wie oft der Fokus ausschließlich auf Kinder und Jugendliche gelegt wird, wenn es um den verantwortungsvollen Umgang mit Medien geht. Die Realität zeigt, dass Menschen aller Altersgruppen täglich in sozialen Netzwerken unterwegs sind. Wir alle sind den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie ausgesetzt. Die sozialen Medien nutzen gezielt psychologische Effekte, um unsere Aufmerksamkeit zu binden. Das passiert nicht zufällig, sondern mit voller Absicht. Algorithmen zeigen uns Inhalte, die uns emotional berühren, uns aufregen oder unsere bestehenden Meinungen bestätigen — alles mit dem einzigen Ziel, auf den großen Plattformen maximal viel Werbung auszuspielen, um deren Profit in die Höhe zu treiben. Und das betrifft nicht nur die Jüngeren unter uns, sondern jede:n Einzelnen.

Was dabei besonders besorgniserregend ist: die mögliche Radikalisierung durch soziale Medien. Durch die algorithmisch gesteuerte personalisierte Auswahl von Inhalten können wir uns in Filterblasen wiederfinden, in denen wir hauptsächlich Informationen vorgesetzt bekommen, die unsere Sichtweisen bestätigen. Kontroverse oder extreme Inhalte erhalten oft mehr Aufmerksamkeit, weil sie stärker emotionalisieren.

Wer diese Mechanismen besser nachvollziehen möchte, sollte sich dieses Video von Marina "afelia" Weisband ansehen, meiner Meinung nach sind das extrem gut investierte 37 Minuten:

Sollten politische Entscheidungsträger soziale Medien meiden?

Nachdem in Australien ein Verbot von Sozialen Medien für Personen unter 16 Jahren eingeführt wurde, stellt sich mir eine entscheidende Frage: Sollten wir nicht auch über ein Verbot – oder zumindest eine irgendwie geartete Beschränkung – von sozialen Medien für politische Entscheider:innen nachdenken?

Warum diese provokante Überlegung? Auch Politikerinnen und Politiker sind nicht immun gegen die psychologischen Tricks der sozialen Medien. Sie können werden – wie wir alle – von den Algorithmen beeinflusst und in Filterblasen gezogen. Obwohl politische Prozesse in der Regel komplexe Strukturen haben, um zu verhindern, dass unüberlegt gehandelt wird, bleibt die Gefahr bestehen, dass auch Entscheidungsträger:innen durch die dynamischen und oft manipulativen Inhalte der sozialen Medien in ihrer Urteilsfähigkeit beeinträchtigt werden. Wo sind die wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesen Themen?
Wenn Politiker:innen selbst aktive Teilnehmer in sozialen Netzwerken sind, werden sie Teil eines Systems, dessen Spielregeln sie kaum bis gar nicht beeinflussen können. Die Algorithmen werden hauptsächlich im Interesse der Werbetreibenden optimiert, nicht für einen fairen demokratischen Diskurs. Und in den USA erleben wir gerade den Anfang einer solchen Entwicklung, die nichts Gutes vermuten lässt.

Angesichts der genannten Punkte sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, ob und wie intensiv politische Entscheidungsträger:innen soziale Medien nutzen sollten. Ein generelles Verbot mag vielleicht zu extrem klingen, aber es braucht zumindest eine bewusste Auseinandersetzung mit den Risiken und Auswirkungen. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn Politiker:innen ihre Präsenz in sozialen Medien reduzieren oder alternative Plattformen nutzen, die transparent und demokratisch gestaltet sind. So könnten sie sich besser auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren und Entscheidungen treffen, die nicht durch die Dynamik der sozialen Medien beeinflusst werden.

Open Source und ohne Werbung: Das Fediverse

Mastodon und das Fediverse bieten eine Alternative zu den großen kommerziellen Plattformen. Sie basieren auf Open-Source-Software und sind dezentral organisiert. Dadurch können sie von Vereinen, öffentlichen Einrichtungen oder Genossenschaften selbst betrieben werden, ohne auf die Geschäftsmodelle von Großkonzernen angewiesen zu sein. So behalten die Nutzer:innen die Kontrolle über unsere Daten und fördern einen Austausch, der nicht von Werbeeinnahmen und Algorithmen bestimmt wird. Wir hätten also wirklich soziale Medien.

Soziale Medien für alle

Medienkompetenz sollte nicht nur ein Thema für Kinder und Jugendliche sein. Wir alle sind Teil dieser digitalen Welt und müssen unseren Umgang damit reflektieren. Die Frage, ob und in welchem Maße politische Entscheidungsträger:innen soziale Medien nutzen sollten, ist komplex und sicherlich nicht leicht zu beantworten. Aber sie verdient es, gestellt und diskutiert zu werden.

Es geht letztlich darum, wie wir als Gesellschaft den demokratischen Diskurs gestalten wollen. Sollten wir uns von Plattformen abhängig machen, die von kommerziellen Interessen und intransparenten Algorithmen gesteuert — und dabei sich allen Vorgaben autokratischer Herrscher beugen, um bloß nicht ihre Profite zu riskieren? Oder suchen wir nach Wegen, die Kommunikation offener, transparenter und demokratischer zu gestalten?

Für mich ist die Antwort klar und ich lade euch ein, ebenfalls darüber nachzudenken und eure Gedanken dazu zu teilen. Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir unsere Medienkompetenz stärken und unsere demokratischen Prozesse fördern können.