Universal Design for Learning
Digitale Lehre ist längst etabliert, doch nicht alle profitieren gleichermaßen. Universal Design for Learning (UDL) bietet einen strukturierten Ansatz, um Lehrangebote barrierefrei und motivierend zu gestalten und dadurch mehr Studierende von Anfang an einzubinden.
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Digitale Hochschullehre entwickelt sich rasant: Was vielerorts mit aufgezeichneten Vorlesungen während der Corona-Pandemie begann, geht heute über Lernplattformen bis zu virtuellen Seminaren, die Studierende orts- und zeitunabhängig besuchen können (sollen). Doch nicht alle profitieren gleichermaßen von diesen Möglichkeiten. Manche stoßen auf technische oder inhaltliche Barrieren, andere verlieren sich im Kursangebot oder empfinden die digitale Lernumgebung als wenig motivierend. Neben der didaktischen Ebene kann das Universal Design for Learning (UDL) hier eine hilfreiche Perspektive bieten, Änderungen zu implementieren, die zu einer Optimierung des Angebots führen.
UDL bietet einen klaren Orientierungsrahmen in drei Dimensionen, um digitale Lehrprozesse so zu gestalten, dass sie von Anfang an möglichst viele Studierende einbeziehen und dabei durch ihre Barrierefreiheit „ganz nebenbei“ das Lernerlebnis für alle Beteiligten verbessern.
Wenn wir Dinge barrierefrei machen, werden sie für alle besser benutzbar.
Dieser Leitsatz lässt sich an einem alltäglichen Beispiel illustrieren: Besonders gut auf den Punkt bringen das die Inclusive Design Guidelines von Microsoft. Darin werden unterschiedliche Personae beschrieben, die motorisch, visuell, auditiv oder verbal eingeschränkt sind. Im Regelfall verstehen wir eine solche Einschränkung von Personen als permanent, also dauerhaft vorhanden. So wird von einer plumpen Annahme wie „Personen mit Hörschwäche sind (fast) taub“ geschlussfolgert, dass wir für Lehrvideos Untertitel benötigen. Dass es aber auch eine temporäre Beeinträchtigung des Hörvermögens gibt (etwa eine fiese Mittelohrentzündung) oder auch eine nur situative – etwa, dass ich meine Kopfhörer vergessen habe und in einer sehr leisen Umgebung sitze, ohne jemand stören zu wollen – blenden wir meistens aus. Die Matrix dieser Personae in den Guidelines von Microsoft zeigt noch weitere Beispiele:
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Werden Untertitel also meist als Steigerung der Barrierefreiheit erstellt, um für „Personen mit (dauerhafter) Hörbeeinträchtigung“ einen Zugang zu den entsprechenden Inhalten zu verschaffen, haben auch „normal hörende“ davon einen Vorteil, wenn es Untertitel gibt. Tatsächlich nutzen viele Lernende ohne Hörprobleme diese Funktion, eben wenn sie zum Beispiel ohne Kopfhörer in einer Bibliothek sitzen, nachts niemanden wecken wollen oder die Fachsprache noch nicht sicher beherrschen und lieber mitlesen. Eine scheinbare „Speziallösung“ bringt also Komfort und Effektivität für alle Beteiligten.
Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, wie eine barrierearme Lernumgebung allen Lernenden zugutekommen kann, und das betrifft nicht nur die Präsentation von Inhalten.
Engagement und Involviertheit
Wie bringen wir Studierende dazu, nicht nur „dabei“ zu sein, sondern sich wirklich auf die Inhalte einzulassen und mitzudenken – gerade in der digitalen Lehre? Das ist der Kern der ersten UDL-Dimension: Engagement (vgl. https://udlguidelines.cast.org). Wenn wir etwa asynchrones Material bereitstellen, das jede:r zeitunabhängig durcharbeiten kann, und gleichzeitig Live-Diskussionen oder Online-Sprechstunden anbieten, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir orchestrieren Flexibilität für diejenigen, die sich ihre Zeit selbst einteilen müssen, und schaffen dennoch Momente direkten Austauschs, in denen schnell Rückfragen gestellt oder spontane Ideen geteilt werden können.
Außerdem kann es wahre Wunder wirken, den Studierenden echte Entscheidungsspielräume zu geben: Sollen sie ihr Projektthema selbst festlegen? Oder das Seminarmodul wählen, das sie packt? Wenn sie wissen, dass ihr persönlicher Input zählt, steigen sie oft mit mehr Elan in den Lernprozess ein. Natürlich hilft es sehr, wenn wir als Lehrende von Anfang an klar und transparent sagen, was wir erwarten und regelmäßig Feedback geben. So entsteht kein Wischiwaschi, sondern ein Rahmen, in dem neue Ideen keimen können – und zwar ohne, dass sich jemand von der Online-Situation „abgeschnitten“ fühlt.
Freilich bedarf eine solche Anpassung entsprechender Freiräume in den Rahmenbedingungen, unter denen ein Lernszenario entworfen, geplant und durchgeführt wird. Gerade an Hochschulen sind Modulhandbücher oder Prüfungsordnung leider (noch) nicht immer für so flexible Angebote ausgelegt.
Multimodale Zugänge schaffen
Bei der zweiten UDL-Dimension geht es darum, wie Lernmaterialien dargeboten werden. Die Grundidee: Wir alle verarbeiten Informationen auf unterschiedliche Weise; die einen lieben Text, andere wiederum lernen leichter über Bilder oder Tonspuren (Bitte das aber nicht mit „Lerntypen“ verwechseln; die gibt es nämlich nicht!). In der digitalen Lehre können wir das sehr gut ausnutzen. Ein (klassisches) Skript plus ein knapper Audio-Podcast plus eine kleine Infografik und/oder ein Kurzvideo – und schon bieten wir mehrere Zugänge zum gleichen Thema. So kann sich jede:r die Lernressource schnappen, die in der jeweiligen Lernsituation am besten passt. Jede:r von uns hat mal mehr oder weniger Zeit, sich ein langes Video anzusehen, einen ausführlichen Text nur zu überfliegen.
Weil wir ohnehin digital unterwegs sind, lässt sich auch auf Barrierefreiheit achten: Screenreader-taugliche PDFs, anpassbare Schriftgrößen und Farbkontraste, Untertitel bei Videos (siehe oben), verschiedene Dateigrößen für unterschiedliche Internetgeschwindigkeiten – all das sorgt dafür, dass niemand abgehängt wird. Je mehr Alternativen wir liefern, desto eher findet jede:r den eigenen Lernweg. Gestützt wird dieser Ansatz auch von der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens.
Action & Expression
Die dritte Dimension fragt: Wie können Studierende ihr Können und ihr Wissen eigentlich unter Beweis stellen? Gerade an Hochschulen dominiert nach wie vor die klassische Hausarbeit oder Klausur. In digitalen Szenarien können wir auch weitere Formate zulassen (solange die Prüfungsordnungen mitspielen). Studierende können ein (interaktives) Poster online präsentieren oder einen kurzen Podcast aufnehmen, den sie mit ihren Kommiliton:innen diskutieren. Wer sich schriftlich besser ausdrücken kann, bleibt bei der klassischen Hausarbeit; wer lieber spricht, kann ein Audio-Format gestalten und lernt nebenbei auch noch etwas über Medienproduktion.
Auch hier zählt, die Regeln und Anforderungen transparent zu kommunizieren, damit keine Methode-um-der-Methode-willen-Aktion herauskommt, und am Ende andere als die ursprünglich intendierten Lernziele erreicht werden. Gerade wenn Studierende (zum ersten Mal im Studium) multimediale Inhalte erstellen sollen, kann der Fokus schnell von den Inhalten auf das Format verrutschen. Kurze Erklärungen, Beispiele und Zwischenschritte mit Feedback sind Gold wert – und sind gleichzeitig eine enorme Herausforderung, da sie den Lehrenden etliche Kompetenzen in den verschiedensten Bereichen abverlangen. Dennoch fördert dieser Ansatz förder eine Lernkultur, in der kreative Ideen und individuelle Stärken ganz selbstverständlich Raum finden, was ich persönlich sehr befürworte.
Fazit
Digitales Lernen wird an unseren Hochschulen umso ansprechender, je mehr wir es von Anfang an auf die verschiedensten Bedürfnisse zuschneiden – und dabei nicht erst reagieren, wenn sich Barrieren zeigen, sondern sie gleich im Kursdesign minimieren. Genau darum geht es beim Universal Design for Learning: Die unterschiedlichen Dimensionen sorgen dafür, dass möglichst alle das Beste aus einem Lernmodul herausholen können. Was für einige Studierende eine selbstverständliche Unterstützung beim Lernprozess darstellt (z. B. Untertitel, besondere grafische oder interaktive Darstellungen), wird plötzlich auch für alle anderen interessant.
Wer sich an den UDL-Dimensionen orientiert, kann eine offene, lebendige Lernumgebung schaffen, in der Lernende frei zwischen verschiedenen Angeboten und Formaten wählen können. Das Ergebnis sind weniger technische Stolpersteine, mehr Selbstbestimmung und gemeinsames Lernen. Die Hochschuldidaktik schreibt sich schließlich auf die Fahnen, hochwertiges Lehren und Lernen für alle zu ermöglichen, und UDL gibt uns einige sehr konkrete Hinweise, wie das in hybriden und/oder digitalen Formaten (und natürlich auch in Präsenz) umsetzen können.