Heute, am 5.7. vor einem Jahr habe ich meinen Beitrag Tschüss, Social Media online gestellt. Korrekterweise hätte er heißen müssen „Tschüss, kommerzielles Social Media“ – denn seit 365 Tagen bin ich fast ausschließlich auf Mastodon im Netz anzutreffen. Meine Beweggründe, die kommerziell betriebenen und algorithmisch gesteuerten Plattformen, eben allen voraus Twitter, aber auch LinkedIn (weitgehend) und alle anderen aus meinem täglichen Medienhandeln auszuklammern, könnt ihr dort nachlesen.
Heute blicke ich zurück auf das Jahr, in dem ich Mastodon intensiv und weitgehend exklusiv genutzt habe. „Weitgehend“ deshalb, weil die Zugehörigkeit zu einer kleinen Community erfordert, dass ich ab und zu auf LinkedIn hineinschaue – aber bestenfalls eben in dieser geschlossenen Gruppe aktiv lese/schreibe.
Netzwerk & Reichweite
Ich hatte das große Glück, sehr früh auf Mastodon aktiv zu sein und habe dort viele Follower:innen gefunden. Umgekehrt folge ich nicht ganz so vielen Accounts wie früher. Das hat unterschiedliche Gründe:
Zum einen möchte ich generell etwas weniger Input haben als vorher – das führt zu weniger Fear Of Missing Out (FOMO) und zum anderen hatte sich in den anderen Netzwerken, vor allem in der Anfangszeit – ein „Du folgst mir, also folge ich dir zurück“ etabliert, was bei knapp 1000 Accounts, denen ich auf Twitter gefolgt bin, unweigerlich dazu geführt hat, dass nicht alle davon wirklich zu meinen Interessen passten und ich auch nicht in einer Hau-Ruck-Aktion alles umsortieren wollte.
Weiter folge ich auf Mastodon keinen Nachrichtenseiten oder anderen Newsportalen. Die landen alle in meinem RSS-Reader, damit das soziale Netzwerk auf primär dem sozialen Austausch dient. Auch die Auswahl an Entwicklerteams oder Apps & Services, denen ich folge habe ich hier gegenüber meiner alten Gewohnheiten massiv eingeschränkt. Ja, ich mag neue Tools, ich möchte wissen, welche Updates und Features mich erwarten – aber das finde ich ggf. auch anders heraus, als über meine Mastodon-Timeline.
Lesegewohnheiten
Was mich nach wie vor am meisten an einer nicht-algorithmisch, sondern chronologisch sortierten Timeline freut, ist der Umstand, dass man nach einiger Zeit scrollen bei Beiträgen ankommt, die man bereits gelesen hat. Spätestens das ist der Zeitpunkt, an dem man die App/Webseite wirklich guten Gewissens schließen kann. Aus FOMO wird dann ein wenig JOMO (Joy Of Missing Out).
Außerdem habe ich festgestellt, dass ich durch meine internationalen Follows am (mitteleuropäischen) Vormittag weitgehend englischsprachige Beiträge aus anderen Erdteilen zu Gesicht bekomme, während den Tag über Deutschsprachige dominieren. Auch das ist eine Dynamik, die ich so auf anderen Netzwerken nie beobachten konnte. Dieser Zeitversatz führt zu einer größeren Awareness dafür, dass es vollkommen okay ist, nicht sofort zu antworten.
Und schließlich folge ich einigen Accounts bewusst nicht, weil ich jeweils die Live-Feeds anderer Mastodon-Instanzen gezielt ansteuere. Verschiedene Clients auf Mobilgeräten ermöglichen das auf eine sehr einfach Weise, sodass diese Feeds oft nur einen Wisch entfernt sind. Natürlich bekomme ich dann nicht alles dieser Accounts mit, aber kann einen Einblick in thematisch fokussierte Communities und kleinere Server gewinnen. Dazu gehören z.B. https://pkm.social, wo sich die Szene rund um mein Steckenpferd-Thema Personal Knowledge Management trifft oder die Instanz der Corporate Learning Community unter https://colearn.social.
Ich verwende diese Live-Feeds also so ähnlich, als würde ich in bestimmte Gruppen oder Unter-Foren hineinschauen. Ich mag dieses bewusste Browsen. Ich habe dabei mehr Kontrolle darüber, was ich wann sehe – und wann ich es bleiben lasse.
Aktualität, Weltgeschehen
Ein – zumindest zu Beginn des Hypes um Mastodon – oft geäußerter Kritikpunkt ist, dass Mastodon durch eine fehlende zentralisierte Struktur ungeeignet wäre, schnell über aktuelle Geschehnisse in der Welt (etwa politische Ereignisse oder Naturkatastrophen) zu informieren. Meiner Erfahrung nach stimmt das nicht (mehr): Je mehr Nutzer:innen dem Fediverse beitreten und fleißig Content boosten/teilen, desto eher schwappen relevante Inhalte auch in die eigene Timeline.
Und sollte das nicht reichen, können auch die live Feeds von Instanzen wie ARD.social oder ZDF.social aufgesucht werden. Voilà.
Fazit
Mir ist klar, dass die Entscheidung, kommerzielle soziale Medien hinter sich zu lassen, nicht für alle Personen tragbar wäre. Wer als Creator jedweder Art darauf angewiesen ist, über solche Kanäle seine Dienstleistungen/Produkte zu vermarkten, muss das Spiel mitspielen. Für mich persönlich war es aber eine der besten Entscheidungen im letzten Jahr. Ich habe mehr Ruhe, bekomme viel weniger Werbung zu Gesicht und habe den Eindruck, dass die Zeit, die ich in Social Media verbringe, besser genutzt ist. Wer weiß – vielleicht expandiere ich ja doch noch irgendwann auf andere Dienste im Fediverse neben Mastodon …
Nutzt Du zum „sortierten Lesen“ Listen für Accounts?
Liebe Viola,
ich habe ein paar Listen, die ich nach ähnlichem Muster wie hier erwähnt angelegt habe: https://davidlohner.de/2020/07/twitter-effektiv-nutzen-mit-listen/
Ich muss aber gestehen, dass ich das nicht 100%ig konsequent umsetze. Ich sollte meine Listen neu sortieren (geht mit https://mastolists.novaloop.cloud/home sehr gut).
Das schöne ist, dass man – wenn man das möchte – Accounts einer Liste aus der Haupt-Timeline ausnehmen kann, dass einzelne Accounts nicht doppelt angezeigt werden.
Salut David,
ah, ein weiteres Tool für die Mastodon-Bookmarks-Liste. 🙂
Ich nutze diesen Listenmanager:
https://www.mastodonlistmanager.org/
Dass man Account aus der Haupt-Timeline ausnehmen kann, wusste ich noch nicht. Bislang für mich nicht relevant, aber dennoch gut zu wissen.
Danke!